Die Energiewende – bei Lichte betrachtet

von Fritz Wassmann-Takigawa

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Über die deutsche Energiewende wird hierzulande wenig und oft auch Falsches und Negatives berichtet. Sehr zu Unrecht. Denn sie ist eines der erfolgreichsten Wirtschafts- und Umweltkonzepte unseres Jahrhunderts und wir könnten viel von ihr lernen.

Deutschland ist als Pionier vorausgegangen. Zunächst mit dem «Energie Einspeise Gesetz» von 1990, dann mit dem «Erneuerbare Energien Gesetz» (EEG) im Jahr 2000. Dieses schrieb den Vorrang des Ökostroms im Netz fest, verpflichtete die Übertragungsnetz-Betreiber zur Abnahme des Stroms aus erneuerbaren Quellen, und garantierte eine kostendeckende Einspeisevergütung – vergleichbar mit dem garantierten Milchpreis für Landwirte. Das EEG hat einen regelrechten Boom ausgelöst, sichtbar an der Anzahl Solaranlagen, Windturbinen und Biogasanlagen.  Anfänglich verlässliche Rahmenbedingungen haben viele BürgerInnen ermutigt, in erneuerbare Energien zu investieren.

 Die «Bürgerenergiewende»

Nahezu 90 Prozent aller Investitionen zur Erzeugung sogenannt neuer erneuerbarer Energie wurden von BürgerInnen, Genossenschaften, KMUs, sowie Gemeinde- und Stadtwerken getätigt. Mancherorts entstand ein richtiger Aufbruch, von engagierten Persönlichkeiten angeführt, die die Bevölkerung mobilisierten. Die grossen vier Stromkonzerne Deutschlands hingegen: E.On, EnBW, RWE und Vattenfall haben sich kaum engagiert. Die Energiewende wurde trotzdem zum Dauerbrenner: innert 14 Jahren stieg der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung Deutschlands von rund fünf Prozent im Jahre 2000 (Deutschland hatte traditionell auf Kohle und Atom gesetzt) auf ca. 27 Prozent Ende 2014. Eine unglaubliche Leistung, alle Prognosen übertreffend ! Aktive Gemeinden  und Regionen haben den Bundesdurchschnitt weit übertroffen. Wildpoldsried im Allgäu etwa (ca. 2500 Ew.)  erzeugt  das Fünffache des eigenen Strombedarfs; der Rhein-Hunsrück-Kreis  mit  110‘000 Einwohnern über 170%.

Ist das teuer?

Die Energiewende in Deutschland kostet – allerdings nur ein Bruchteil dessen, was Kohle- und Atomkraftwerke bisher an direkten staatlichen Subventionen erhalten haben. Hohe Produktionszahlen und Innovation haben die Kosten – namentlich für Photovoltaikanlagen –  massiv gesenkt. Strom von der eigenen Photovoltaikanalage ist heute in Deutschland billiger als der Graustrom aus der Steckdose! Soeben erreicht uns die Botschaft aus Japan, dass auch im Lande der aufgehenden Sonne (wo zurzeit unglaublich viele PV-Anlagen gebaut werden), die sog. Grid Parity beim Haushaltstrom erreicht wurde. In vielen Ländern der Erde – so in USA, China, Indien – werden zurzeit Solar- und Windanlagen in rasantem Tempo zugebaut.
Die Energiewende in Deutschland hat auch vielfältige wirtschaftliche Vorteile gebracht:  gegen 400‘000 neue Arbeitsplätze geschaffen,  Geld in strukturschwache Regionen gespült, Wertschöpfung generiert,  den Geldabfluss vermindert. Gemeinden konnten dadurch  Kindergärten bauen, Schulen und Sportanlagen erneuern – Wildpoldsried  gar ein neues Gemeindezentrum mit Seminarhotel errichten. Die «German Energywende» ist weltweit zum Begriff geworden und wurde bereits von über 60 Ländern kopiert. Was anfangs nicht ernst genommen, dann lächerlich gemacht und schliesslich bekämpft wurde,  ist zum richtungsweisenden Leuchtturm  herangewachsen.

Manipulation

Nicht zur Freude aller. Namentlich die grossen Stromkonzerne erkannten wohl etwas spät, dass sich die Energiewende nicht mit den von ihnen vorausgesagten «Stellen nach dem Komma» begnügte. Sie war zur ernsthaften und stark im Volk verwurzelten Konkurrenz herangewachsen. Was danach geschah, liest sich wie eine futuristische Horrorgeschichte: Deutschland wird seit Jahren von einer hochprofessionellen und lügenhaften Propaganda- und Bashingwelle überrollt, welche  die Energiewende und insbesondere das EEG in der öffentlichen Meinung vermiesen und damit Macht und Pfründe der grossen Konzerne vor weiterer Erosion schützen sollte.  Tina Ternus, Ingenieurin und Energiewirtin aus Rüsselsheim/Hessen hat in akribischer Recherchearbeit den Methoden dieses seither ununterbrochenen Dauerfeuers gegen die Energiewende nachgespürt und dessen Hintergründe und Akteure ausfindig gemacht. Ihr Bericht «Vom Hoffnungsträger zum Sündenbock», http://experts.top50-solar.de lässt sämtliche Warnlichter aufleuchten und zeigt, wie weit Manipulation in Deutschland schon fortgeschritten ist. Wir sehen uns mit einem perfekten und engmaschigen Netz konfrontiert, das sowohl gesponserte  «Forschungsinstitute» und «Experten» umfasst, nahezu die gesamte Medienlandschaft beherrscht und – besonders gravierend – auch in der Politik auf Bundesebene grossen Einfluss hat.  Im Hintergrund agieren eher verdeckt Wirtschaftsverbände, namentlich die „Initiative neue soziale Marktwirtschaft» (INSM), Strom- und Energiekonzerne etc., unterstützt von skrupellosen PR-Agenturen. Ihre Botschaften («Die Energiewende kommt zu teuer», «Strompreise explodieren zu Lasten des Geringverdieners») werden leider auch von Schweizer Medien übernommen und verbreitet – trotz ihres meist sehr geringen Wahrheitsgehalts.

Die deutsche Regierung verrät die Energiewende

Nachdem das EEG in der Praxis gut angelaufen war und der Zubau von Photovoltaik, Wind- und Biogasanlagen rasant an Bedeutung gewann, wurde bereits im Sommer 2009 – in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – von Regierung und Bundestag die «Verordnung zur Weiterentwicklung des bundesweiten Ausgleichsmechanismus des EEG» in einer Hauruck-Aktion durchgewinkt. Demnach muss aller eingespeiste EEG-Strom zwingend an der europäischen Strombörse EPEX vermarktet werden. Mit verheerenden Folgen für die VerbraucherInnen. Ökostrom wird dadurch nicht mehr von Strom aus fossiler und nuklearer Produktion unterschieden, welcher durch staatliche Subventionen und Vergünstigungen zu Tiefstpreisen angeboten werden konnte. Da sich die EEG-Umlage aus dem Unterschied zwischen Börsenpreis und Produktionskosten errechnet, stieg diese für den Kleinverbraucher inzwischen auf über 6 Ct./KWh an. Dies ist das Fünffache im Vergleich zu 2009, während sich die eigentlichen Kosten trotz starken Zubaus nur knapp verdoppelt haben. Ausserdem sind inzwischen über 2000 Betriebe im Genuss stark reduzierter, mehr symbolischer Umlage, was den Strom für alle anderen Strombezüger weiter verteuert.

Mit der am 01.08.2014 in Kraft getretenen EEG-Novelle wird die Energiewende massiv behindert. Der komplizierte Gesetzestext ist selbst für spezialisierte JuristInnen kaum mehr verständlich– sicher aber nicht für Bürger und Unternehmer. Die wichtigsten Änderungen sind haarsträubend: Eine Abgabe auf selbstverbrauchten Strom von der eigenen Anlage (eine Solarsteuer also!); Quoten für den Zubau Erneuerbarer; Schikanen bei Windenergie, Biogas sowie für dezentrale Erzeuger und Genossenschaften. Dabei sind diese Energieträger heute teilweise preisgünstiger als traditionelle, sie beleben die Volkswirtschaft und sind umweltfreundlich. Und diversifizierte Stromproduktion, Speichertechnologien, Smart Grid, Power-to-Gas und andere optimierte Systeme werden innert weniger Jahre auch die Netzstabilität gewährleisten können.

Die schier unglaubliche, schmerzliche Erkenntnis: Die aktuelle deutsche Koalitionsregierung, gefolgt von Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, hat die Energiewende ebenso verraten wie die Klimaziele, vor allem aber das eigene Volk. Denn 92 Prozent der Deutschen stehen – aller Propaganda zum Trotz – noch immer hinter der Energiewende. Jetzt erst recht!

 Und die Schweiz?

Unser Land ist in der Umsetzung der Energiewende unglaublich langsam. Der Vergleich mit anderen Nationen beschämt uns. Im weltweiten Vergleich kumulierter installierter Leistung pro Kopf liegen wir bei Photovoltaik auf Rang 17, bei Windenergie auf Rang 55 (Quelle: SolarSuperState Ranking 2014). Während Österreich mit vergleichbarer Topografie – und etwa doppelter Landesfläche – soeben die Tausendste Windanlage gebaut hat, stagniert die Schweiz seit ca. zwei Jahren bei insgesamt deren 34!   Dass die Energiewende in der Schweiz vergleichsweise leicht zu realisieren, dass sie längerfristig auch wirtschaftlich interessant  wäre, ist durch etliche Studien (u. a. von Prof. A. Gunzinger/ETH) belegt. Investitionen in die Energiewende sind aktuell ertragsreicher als das Sparbüchlein auf der Bank. Und die einzig denkbare Alternative – Atomstrom – ist bei Vollkostenrechnung sehr teuer, gefährlich, kann wirtschaftlich (auch in der Schweiz) nur durch massive Staatssubventionen und politische Protektion überleben.
Wenn auch in der Wintersession 2014 der Nationalrat einige Schritte in Richtung Zukunft getan hat, so ist andererseits die beschlossene  nahezu unbegrenzte Laufzeit für AKWs für unabhängige Sachverständige nicht mehr nachvollziehbar. Internationale Experten sehen in unseren drei Alt-AKWs (Mühleberg, Beznau 1 und 2) eine nicht mehr verantwortbare Gefahr für Land und Volk  und fordern deren sofortige Abschaltung! (Metastudie Ing. Dieter Mayer, www.energiestiftung.ch). Leider ist auch bei uns zurzeit eine massive Kampagne gegen die Energiewende generell und die Energiestrategie 2050 des Bundes im Gange.
Fakt ist und bleibt:  An der Energiewende – effizient, 100 % erneuerbar, dezentral, bürgernah – führt kein vernünftiger, nachhaltiger Weg vorbei. Ihre konsequente und zügige Umsetzung ist eine Frage des gesunden Menschenverstands, ihr Gelingen ein Zeichen unserer kollektiven Intelligenz.  Aber die Energiewende kommt nicht von selbst. Wir sind aufgerufen, sie gemeinsam mit unabhängigen, ehrlichen PolitikerInnen und innovativen Unternehmen jetzt zu realisieren.

Weblinks

www.ee-news.ch
www.energiestiftung.ch
www.sonnenseite.com
www.energiewende-tv.com

Bücher
  • Dr. Ulf Bossel: «Energiewende zu Ende gedacht – Was denn sonst?» 2014 Eigenverlag. ubossel@bluewin.ch
  • Prof. Dr. Anton Gunzinger: “Kraftwerk Schweiz: Plädoyer für eine Energiewende mit Zukunft“, Publikation: 1. Mai 2015 im Zytglogge-Verlag, Bern
Film

Carl.A. Fechner: «Change – Die Revolution geht weiter» Veröffentlichung voraussichtlich Herbst 2015. Fortsetzung von «Die 4. Revolution – Energy Autonomy», 2010.

Siblinger Randen/SH, Ostern 2015/Fritz Wassmann-Takigawa
PS: Dieser Text darf mit Quellenangabe unbeschränkt verbreitet werden!


Fritz Wassmann-Takigawa, 1936; Gartendesigner, Fachlehrer, Oekologe, Fachautor und ganzheitlicher Denker ist langjähriger unabhängiger Energiesachverständiger.