Nachhaltigkeit

Das Wort Nachhaltigkeit hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine steile Karriere erlebt – und wie jedes Wort, das inflationär verwendet wird, hat es dabei an Kontur verloren. Was bedeutet Nachhaltigkeit “wirklich”?

Es existieren zahlreiche Definitionen; gemeinsam ist ihnen, dass als nachhaltig eine Lebensweise gilt, die ihre Substanz nicht aufbraucht, sondern erhält oder mehrt. Am weitesten verbreitet ist die Definition des Uno-Berichts Unsere gemeinsame Zukunft (“Brundtland-Bericht”) von 1987:

Nachhaltig ist eine Entwicklung, die “die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können”.

In dieser Kürze, wie die Definition meist zitiert wird, ist sie problematisch. Sie suggeriert nämlich, dass es möglich sei, “die Bedürfnisse der Gegenwart” nachhaltig zu befriedigen. Es kann ein Bedürfnis eines Europäers von heute sein, sich in der kalten Jahreszeit für eine Woche an den warmen Strand zu legen und also in die Tropen zu fliegen – nachhaltig lässt sich dieses Bedürfnis aber nicht befriedigen. Wichtig ist deshalb der im Bericht folgende Satz:

“Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung impliziert Grenzen (…) abhängig von der Fähigkeit der Biosphäre, die Effekte der menschlichen Tätigkeit zu absorbieren.” (Allerdings steht im Bericht auch, dass die Grenzen Wachstum nicht ausschlössen.)

Die Nachhaltigkeitsdefinitionen lassen sich in zwei Gruppen unterscheiden: “schwache” und “starke”. Nach dem Konzept der “schwachen” Nachhaltigkeit sind natürliche Ressourcen nur eine Form von Kapital unter anderen. Nachhaltig ist eine Gesellschaft, die ihr Gesamtkapital erhält oder vermehrt. Es ist legitim, natürliche Ressourcen aufzubrauchen, wenn dafür neues menschengemachtes Kapital in mindest gleicher Höhe entsteht. Problematisch ist daran natürlich, dass sich die verschiedenen Kapitalarten nicht wirklich vergleichen lassen. Wer einen Diamanten schürft, schafft damit sehr viel Kapital, weil dieser kleine Stein einen extrem hohen Wert hat; er darf also für diesen Diamanten vergleichsweise grossen Umweltschaden anrichten. Aber der Wert des Diamanten ist ein Liebhaberwert. Werden die natürlichen Ressourcen knapp, kann er zum Überleben der Menschheit nichts beitragen.

Nach dem Konzept der “starken” Nachhaltigkeit müssen die natürlichen Ressourcen für die allein erhalten oder vermehrt werden: Rohstoffe dürfen der Umwelt nur so schnell entnommen werden, wie sie nachwachsen, Abfallstoffe nur so schnell in die Umwelt eingebracht werden, wie von ihr abgebaut werden können.  Nicht erneuerbare Ressourcen, wie Erdöl lassen sich streng genommen gar nicht “stark nachhaltig” nutzen. Die Vertreten dieses Konzepts erachten eine Nutzung endlicher Ressourcen aber dann als nachhaltig, wenn ein Teil des Gewinns aus dieser Nutzung dazu verwendet wird, Realersatz für die verbrauchten Ressourcen zu schaffen.

Seit der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro 1992 hat sich zudem eingebürgert, ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekt der Nachhaltigkeit zu sprechen.

Eine solche Erweiterung des Nachhaltigkeitskonzepts über das Ökologische hinaus mag sinnvoll sein, ist aber dann unsinnig, wann man, wie es oft geschieht, die drei Aspekte als gleichberechtigte Säulen betrachtet.

In Wirklichkeit besteht zwischen ihnen eine klare Hierarchie: Die Umwelt ist eine Produktionsfaktor der Wirtschaft, nicht aber umgekehrt. Wirtschaft kann ökonomisch nur dann nachhaltig sein wenn sie auch ökologisch nachhaltig ist, weil sie sonst eine ihrer Grundlagen zerstört. Wenn gefordert wird, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft miteinander in Einklang zu bringen, ist das Unfug. Natürlich muss die Wirtschaft mit der Umwelt in Einklang gebracht werden; das Umgekehrte aber geht gar nicht – es ist der Umwelt reichlich egal, was mit der Wirtschaft geschieht. Wer behauptet, ökologische Nachhaltigkeit stehe in einem Zielkonflikt mit “ökonomischer Nachhaltigkeit”, hat nicht die Wirtschaft als Ganzes in seinem langfristigen Blick (und nur was langfristig ist, kann als nachhaltig gelten), sondern Partikularinteressen bestimmter Wirtschaftszweige, bestimmter Regionen oder der heutigen Wirtschaft gegenüber der zukünftigen.

Marcel Hänggi
(zitiert aus seinem 2011 erschienenen Buch “Ausgepowert” S. 23)